Birgit Wiesenhütter
Powerplant
Raum ist wie auch Zeit eine Dimension, die für uns eigentlich nur erfahr- und wahrnehmbar wird, wenn sie begrenzt ist. Dieser Raum hier ist für uns Raum, weil er Wände, einen Boden und eine Decke hat. Ein Bezugspunkt dafür ist unser Körper, von dem aus oben, unten, rechts und links erfahrbar sind. Soweit die Voraussetzungen, denn der Raum spielt hier und jetzt eine entscheidende Rolle.
Der Kunstverein Nürtingen weiht mit dieser Ausstellung nach dem Umzug seinen neuen Raum ein und hat mit dem Künstlerduo Ariane Faller und Mateusz Budasz mit Bedacht eine künstlerische Position gewählt, für die der Raum nicht nur Ausstellungsort ist, sondern Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit. Die Erkundung des Raums und seiner Umgebungssituation steht am Beginn der ortsbezogenen Installationen der beiden Künstler. Für die Ausstellung im Nürtinger Kunstverein haben Sie die Arbeit „Powerplant“ geschaffen. Bereits der Titel deutet auf die Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsort hin. Übersetzt bedeutet er „Kraftwerk“ oder „Triebwerk“ und spielt auf die hier vorgefundene Industrieumgebung an. Gleichzeitig steckt in „Powerplant“ auch „plant“ also Pflanze und Power – das Wachsen und Wuchern mit Kraft. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs pendelt zwischen dem Ort und dem Werk selbst.
Ariane Faller und Mateusz Budasz haben sich während ihres Studiums der Malerei an der Freiburger Außenstelle der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe kennengelernt. Im Vorwort zu ihrem Katalog „Octopus’s Garden“ schreiben sie:„Es ergab sich, dass wir stunden- oft auch nächtelang über Kunst redeten, nicht ahnend, dass wir damit bereits den Grundstein für unser heutiges Schaffen legten.“ Beim Reden ist es nicht geblieben, denn als Künstler ist ihr Ausdrucksmedium bildnerisch. Ihr Dialog wird fortgesetzt, nicht mehr nur verbal, sondern mit den Mitteln der Bildenden Kunst. „Stereoshaped“ nennen Ariane Faller und Mateusz Budasz ihre gemeinsame künstlerische Position.
Was verbinden wir mit „stereo“? Zwei Schallquellen suggerieren uns räumlichen Klang, zwei Augen lassen uns räunlich sehen – und zwei malerische Positionen ergeben „stereoshaped“ – diese Wortschöpfung könnte man mit „räumlich geformt“ oder „raumförmig“ übersetzten. Aus zwei malerischen Positionen wird also eine dritte, die nicht nur Malerei und Zeichnung, deren formale Grenze und Möglichkeiten auslotet, sondern vor allem den Raum selbst thematisiert.
In ihren gemeinsamen Arbeiten verarbeiten Faller und Budasz auch ihre separat entstehenden Werke, in denen sie auf sehr unterschiedliche Weise ihre Auseinandersetzung mit dem Bild zeigen.
Ariane Faller arbeitet mit Farbe. In einer Werkgruppe schafft sie auf Schachteln Farbflächen, die sie in Schichten aufbaut und die die stoffliche und sinnliche Qualität der Farbe betonen. Man sieht die Farbe dünn in Fließspuren an den Seiten herab rinnen, dann aber auch pastose Strukturen an der Oberseite. Die Künstlerin lässt die Schachteln Schachteln sein, realer Körper, Klebestreifen, Beschriftungen oder Barcodes bleiben sichtbar und ergeben im Zusammenwirken mit den Farbschichten das Bild, das man als raumgreifendes Statement mit Gegenstandscharakter als Bildobjekt oder Bildkörper bezeichnen möchte. Sie sehen – man kommt zwangsläufig in Bezeichnungsnöte.
Eine andere Werkgruppe sind ihre Strickbilder, von Hand gefertigt sind hier Bildträger und das Bild eins. Der Faden ergibt eine Struktur oder eineTextur oder – sieht man den Faden als Linie – gar eine Zeichnung? Der Bildbegriff kommt ins wanken.
Die Bildwelt von Mateusz Budasz ist unbunt. Parallele oder sich orthogonal kreuzende Linien können malerisch in Weiß und Schwarz auf Holz- oder Spanplatten aufgetragen sein. Aber auch er hinterfragt den Zusammenhang zwischen Bild und Bildträger und lässt beide miteinander verschmelzen, indem er die Struktur der Oberflächen mit einbezieht oder die Linien in eine Platte hineinfräst und damit das Bild zugleich als Relief in den Raum erweitert. Die maschinellen Linien haben etwas Minimalistisches, trotzdem kommt immer wieder auch das Malerische hinzu: Farbe wird auf den Graten aufgetragen, die Einkerbungen können vom Fräsen dunkel sein. Linie kann hier zeichnerisch oder malerisch aufgefasst werden. Man schwankt in der Betrachtung. Letztlich sind auch die Arbeiten von Mateusz Budasz nicht einfach Bilder sondern ebenso Objekte, die ihren Anspruch auf eigenständige Realität geltend machen.
Der reale Raum spielt also bereits in den beiden seperaten Werken der Künstler eine bedeutende Rolle. In ihrer gemeinsamen Installation „Powerplant“ im Kuntverein Nürtingen haben sie den Ausstellungsraum und seine Umgebung untersucht. Ein Resultat davon sind Fotografien. Auch sie werden Teil der Installation, reagieren auf die Umgebung, thematisieren sie.
Betrachten Sie die Fotografie mit dem Pylon vor dem Glasbausteinfenster. Hier können Sie direkt nachvollziehen, wie die Künstler von vorgefundenen Farben, Strukturen und Situationen ausgehen und sie in künstlerischer Form ausdrücken. Das weit nach vorne ragende Bildobjekt nimmt an der Oberseite die tiefrote Farbe des Pylon auf, sprengt damit auch die Fläche der Fotografie und deren Illusionismus in den realen Raum, die Rasterstruktur auf der Spanplatte wiederholt die Einteilung des Fensters in einzelne Glasbausteine. Die Glasscheibe, mit einer Klemme vor der Fotografie befestigt, bringt das reale Material des Fensters ins Spiel, ihre dreieckige Form verweist auf den Pylon. Die reale Wirklichkeit wird in den Illusionismus der Fotografie übertragen und wieder in eine reale und assoziative Wirklichkeit in der Installation übersetzt.
Und die Fotografie mit dem beidseitigen Treppenaufgang und den 4 Fenstern rechts neben der Tür: fällt Ihnen auf, wie die abwechselnd dunkel und weißen übereinander geschichteten Platten das Thema des Fensters vor der weißen Wand wiedergeben? Und schauen Sie um die Ecke: die 4 Farbobjekte beziehen sich wiederum auf die 4 Fenster der fotografierten Wand – Immer wieder das Fenster, das in der Geschichte des Bildes eine so herausragende Bedeutung hat. In der Renaissance, als es gelang im Bild mit Hilfe der Perspektive einen Illusionsraum zu schaffen, wird das Fenster zur Definition des Bildes: das Bild ist ein Fenster in eine andere Welt. Die mathematisch konstruierte Perspektive ermöglicht die perfekte Illusion der Räumlichkeit. Dieses Prinzip wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Kopf gestellt, als Marcel Duchamp und Robert Delaunay zur gleichen Zeit auf sehr unterschiedliche Weise das Bild selbst zum Fenster machten. Delaunay mit seinen Fensterbildern, den „Fenêtres simultanées“, und Duchamp in völliger Ablehnung dieser sogenannten ‚peinture pure‘ als Gegenstand, als wirkliches Fenster. Er stellt das Illusionsprinzip auf den Kopf und eröffnet mit dem realen Gegenstand als bildnerisches Mittel dem Bild – und künftigen Künstlergenerationen – völlig neue Möglichkeiten.
Somit knüpfen Faller und Budasz auch an die Entwicklungsgeschichte des Bildes an, untersuchen die Grenzen und Möglichkeiten des Bildes und entwickeln sie weiter.
In ihrer Installation kombinieren sie ihre separat entstandenen Arbeiten mit realen Gegenständen wie Holzklappböcken, Leitern, Palletten Galerie-Sockel oder Holzlatten. Zum Teil sind es Dinge, die sie bereits hier vorgefunden haben, andere haben sie mitgebracht. Diese Dinge interagieren formal miteinander und mit dem vorgefundenen Raum. Achten Sie auf den Boden: die weiß gestrichene Fläche existierte bereits. Das Künstlerpaar hat sie für ihre Arbeit aktiv gennutzt. Alle Elemente des Raumes sind auch Teil der Installation unterliegen dem Prinzip der Komposition. Farbe, Volumen, Fläche, Linien, Strukturen sind in einem spannungsvollen Verhältnis austariert. Man möchte das Ganze als Raumbild bezeichnen. Es funktioniert im Ganzen wie im Detail. Die bis unter die Decke aufgetürmten Bereiche der Installation nehmen die Struktur der Säulen im Raum auf, die Sockel präsentieren nichts, sondern werden Teil der Installation. Die Gegenstände sind ihrer angestammten Funktion enthoben und dienen als formale Elemente der Komposition.
Das Konstruktivistische Erscheinungsbild der Installation wie auch das Hinterfragen des Bildbegriffs stellen eine Verbindung zu einem weiteren Revolutionär des Bildbegriffs her. 1914 löste sich Wladimir Tatlin, der Begründer des Konstruktivismus, mit seinen Eck- und Konterreliefs von der Malerei und dem dargestellten Inhalt und schuf gleichsam eine neue Kunstgattung sowie ein neues Verständnis für das ins Werk gesetzte Material, das er von der zweckgebundenen Funktion, etwas darzustellen, befreite. Er begann, raumgreifenden Strukturen aus alltagstauglichen Gegenständen, Fundstücken aller Art an frei gespannten Seilen oder Drähten zu montieren, eine radikale Auffassung von Plastik, die sich vor der Wand schwebend mit dem Raum verschwistert.
Ariane Faller und Mateusz Budasz knüpfen an diese Auffassung von Materialität und Raumwirkung an. Nach allen Regeln der Komposition gehen sie aber einen Schritt weiter, indem ihre Installation den gesamten Raum vereinnahmt Sie braucht nicht nur den Betrachter, sondern einen Begeher. Denn diese Arbeit schließt den Betrachter mit ein, indem sein ihm angestammter realer Lebensraum vollkommen besetzt wird. Der Raum wird zum Bild. Es gibt Bilder im Bild, Zusammenhänge zwischen Bild und realem Raum, zwischen Bildern. Die Vernetzung ist vielfältig. Letztlich bieten Ariane Faller und Mateusz Budasz uns unendlich viele Bilder an. Welchen Weg wir nehmen, welche Bilder wir tatsächlilch sehen, müssen wir als Betrachter und Begeher selbst entscheiden.