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TEXTE – „stereoshaped“, T66, Freiburg, 2007

Susanne Kimmig

stereoshaped – eine temporäre Raumerfahrung

Raum aus der Monochromie

Ariane Faller arbeitet vorrangig mit monochromen Bildflächen. Ihre Techniken, mit denen sie die Flächen erzeugt, unterscheiden sich derart voneinander, dass man versucht ist, sie als gesonderte Phasen ihres Schaffens zu erörtern. Das wäre aber schlichtweg der falsche Ansatz, da sie parallel an den einzelnen Werkgruppen arbeitet, denen auch ein einheitliches gedankliches Konzept zu Grunde liegt. Die Farbflächen können aus mit Leinöl verflüssigtem Pigment bestehen, gestrickt oder gemalt sein. Schließlich erreicht Ariane Faller durch die Schichtung verschiedener Farben monochrom wirkende Bildflächen.
Ariane Faller benutzt in ihren Arbeiten die physikalischen Eigenschaften des Farbmaterials. Zunächst bewirkt seine relative Festigkeit verschiedene Strukturen im Bild. Zähe Ölfarbe erhält bereits während des Auftragens Formen, die ähnlich bis zum Austrocknen des Bildes bestehen bleiben. Geknülltes Papier verbindet sich mit Farbe zu Gebirgszügen aus Farbe und Form und Spachtelmasse entwickelt scharfkantige Strukturen.
Durch die Verwendung von stark mit Leinöl durchsetztem Pigment wachsen die Oberflächenstrukturen je nach Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit zu bizarren Mustern. Da dieser Trocknungsprozess jahrelang andauern kann, verändern sich die Arbeiten unaufhörlich. Der Betrachter sieht daher jedes Stück nur ein einziges Mal, denn bei der nächsten Betrachtung ist es schon wieder ein anderes. Die Künstlerin greift selbst nicht aktiv in die Strukturbildung ein und erreicht so einen von der Künstlerperson losgelösten Duktus. Damit schafft sie es, die von ihr angestrebte Abbildlosigkeit ihrer Arbeiten noch zu unterstreichen.
Die Verwendung von unterschiedlichen Materialien als Bildträger verstärkt noch das Zusammenspiel von Farbe und Struktur.
Die Farbstruktur glättet sich dabei, je stärker der Bildträger selbst in den Raum ragt. Ariane Faller benutzt unter anderem Holzkisten und -platten, Schachteln, Kartons, Folien oder Schaumstoffe, die sie als Objets Trouvés zum Bildbestandteil werden lässt. Ein Loch im Bildträger, ein Aufkleber oder eine Aufschrift darauf werden zu einem zusätzlichen Element der Arbeit.
Ariane Faller nimmt damit Dinge der Alltagskultur aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen heraus, verweist trotz der Einbindung in einen künstlerischen Kontext auf die vergangene Funktion des Trägermaterials und entbindet es gleichzeitig davon.
Stets gibt Ariane Faller ihren Arbeiten eine Ausdehnung in den Raum. Die erhöhten Ränder der mit flüssigen Farbmitteln gemalten Arbeiten dienen als Bildelement, indem dort die einzelnen Farbschichten sichtbar und nachfühlbar werden. Bildränder existieren in dem Sinne nicht. An den Seiten der Bilder öffnen sich die Arbeiten nach Innen, indem sie zum einen den Bildträger preisgeben und zum anderen die tatsächlich mehrfarbige Anlage der Oberfläche aufschlüsseln.
Der auf Körperhaftigkeit ausgerichtete Umgang mit Farbe zeigt sich deutlich in den Strickbildern. Ariane Faller fertigt dafür absolut musterloses Strickgewebe aus einfarbigen Woll- und Garnsorten und spannt diese auf Holzrahmen mit variierenden Formaten und Tiefen. Jedes Strickbild entwickelt eine ganz eigene Struktur. Die handgestrickten Stücke weisen immer Unregelmäßigkeiten in der Maschengröße auf und sie lassen damit verschieden intensiv die hinter dem Bild befindliche Wand durchscheinen. Damit entstehen verschiedene Farbnuancen und reliefartige Bildoberflächen. Das Garn erfüllt eindeutig dieselbe strukturbildende Funktion, wie es in den anderen Bildern zum Beispiel Ölfarbe oder Pigment tun.
Die Verbindung von Objets Trouvés mit reliefartiger Malerei schafft im Sinne des Combine Paintings Robert Rauschenbergs eine Auflösung der klassischen Kunstgattungen Malerei und Skulptur. Infolge von Überlegungen zu idealen Hängungen ging Ariane Faller dazu über, ihre Arbeiten als Installationen zu präsentieren, die den Raum und dessen Architektur vollkommen in die Gesamtarbeit integrieren.

Von der Linie zum Raum

Vertikale und horizontale Linien beherrschen Mateusz Budasz’ Arbeiten. Er verwendet eine Vielfalt an Materialien als Bildträger: MDF- und Spanplatten sowie verschiedene Hölzer, aber auch Papier, Plexiglas und Kunststofffolien dienen dem Künstler dazu.
Erzählende Elemente lehnt Budasz vollkommen ab. Die Linien, die er mittels variierender Techniken aufbringt, führen den Betrachter ins Bild und leiten den Blick am Format entlang.
Die geometrisch wirkenden Beinahe-Parallelen richten sich im Wesentlichen nach den Rändern des Bildträgers. Gitternetzartige Liniengeflechte erinnern an Quadrate. Mateusz Budasz erreicht diese, das Format bestimmende, Linienführung jedoch nicht dadurch, dass er sie geometrischen Grundsätzen zufolge anbringt. Vielmehr führt er sie nach dem Maßstab einer von ihm „gefühlten Richtigkeit“ aus. Die intuitive Linienführung und die Dichte und Nuancierung der Geraden verleihen jedem Bild sein spezifisches Hoch- oder Querformat.
Wie im Fall der Materialien der Bildträger verwendet Budasz unterschiedlichste Techniken für den Farbauftrag. Die Linienmalereien können mit Oil-Stick, mit Gaphitstift oder auch oft mit weißer flüssiger oder pastoser Farbe aufgebracht sein. Die Bildfläche entwickelt sich aus dem Zusammenwirken der Linien untereinander und mit dem Bildrand. Neben klassischen Zeichengeräten verwendet Budasz auch Oberfräse, Handkreissäge und Winkelschleifer. Die Bandbreite an Techniken des Farbauftrags resultiert aus dem Verständnis des Künstlers, der die beiden Kunstgattungen Malerei und Zeichnung ineinander auflösen möchte. Häufig entdeckt man dunkle, verschieden nuancierte Linien, die sich malerisch in den Bildträger eingraben. Unweigerlich verschwimmt hier die Grenze zwischen Bild und Bildträger. Teilweise arbeitet der Künstler bei der Verwendung von Spanplatten so schmale Grate heraus, dass die dunklen Linien hinter den Bildträger zu rücken scheinen, während die helleren, reliefartig hervortretenden Bereiche ebenfalls zu Linie, Zeichnung und Malerei werden. Bilden Naturholzbretter wie zum Beispiel Fichtenholzplatten den Bildträger, setzt Budasz die Linien weit auseinander. So erzielt er bewegte Bildflächen aus Geraden und der natürlichen Maserung des Holzes.
Schließlich vereinigt Mateusz Budasz die einzelnen Platten zu einem Ganzen. Sie deuten mit ihren reliefierten Oberflächen bereits die Verwischung der Grenzen zwischen den klassischen Kunstgattungen Malerei und Skulptur an. Budasz verschraubt oder schichtet die Platten und löst durch das Schaffen von dreidimensionalen Gebilden diese Grenzen endgültig auf. Die durch die Linien erzeugten eigenständigen Bilder entwickeln sich zum Bestandteil der objekthaften Kompositionen.
Stellt Mateusz Budasz seine Arbeiten aus, führt er sie noch einen weiteren Schritt in die Dreidimensionalität hinein. Schon im Erarbeiten von an Tatlins Kontra-Reliefs erinnernden Kompositionen verdeutlicht sich der enge Bezug der Arbeiten zum Raum. Scheinbar zufällig stellt der Künstler seine Arbeiten im Ausstellungsraum regelrecht ab. Dabei nutzt er Gegebenheiten vor Ort, wie etwa Gesimse oder Heizkörper. Damit fügt Budasz die Arbeiten zu einer großen Installation zusammen, in der sich der bloße Raum zum Bildbestandteil entwickelt. Da der Künstler diese Installationen immer der jeweiligen Raumsituation anpasst und sie auch immer wieder auflöst, nennt er diese vergänglichen Arbeiten „Temporäre Komposition“. Die einzelnen Arbeiten und ihre direkte Umgebung fungieren darin als sich aufeinander beziehende Elemente eines großen vergänglichen Ganzen. Die Arbeiten von Mateusz Budasz leben von der durchdringenden Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der verwendeten Materialien und dem alle Werkstufen durchdringenden Bezug zu Raum und Raumwirkung. Die Überwindung der Grenzen der klassischen Kunstgattungen leiten den Betrachter von der Einzelarbeit bis zur Rauminstallation durch das gesamte Oeuvre. Damit schafft Budasz immer- während neue Betrachtungsmöglichkeiten und Blickwinkel für seine Bilder.

stereoshaped

Die ständige Befragung des architektonischen Raums nach seinen bildnerischen Eigenschaften bringt die Arbeiten von Ariane Faller und Mateusz Budasz auf einen gemeinsamen Nenner. Durch die Anordnungen der Einzelarbeiten als komplexe Rauminstallationen vernetzen sie diese visuell untereinander
und mit dem sie umgebenden Raumgefüge. Als „Symbionten“ bezeichnen die beiden Künstler Kompositionen, die durch die unmittelbare, visuell nahtlose Zusammenstellung aus Arbeiten beider entstehen. Wie in einer biologischen Symbiose nährt die einzelne Arbeit die Wirkung der anderen. Sie bieten visuelle Wechselwirkungen, die in Einzelausstellungen der Künstler nicht vorkommen können. Die Spannung zwischen mit Linien durchsetzten und monochromen Farbflächen sowie deren räumlichen Ausdehnungen verschweißt diese zu einem in sich stimmigen Bild.
Die üblichen Hilfsmittel, die die konventionellen Galeriehängungen prägen, lassen beide Künstler außer Acht. Durch die räumliche Konzeption der Einzelarbeiten bedingt scheiden Bilderrahmen von vorne herein aus. Sowohl bei Ariane Faller als auch Mateusz Budasz sind die Seitenkanten ihrer Arbeiten kompositorisch wichtige Bildelemente, die durch eine konventionelle Rahmung einfach abgeschnitten würden. Die auf das einzelne Bild beschränkte Präsentation vor einer meist weißen Galeriewand tilgen die beiden Künstler ebenfalls zunehmend aus ihren Ausstellungen oder treiben dieses Prinzip, wie in „stereoshaped“ erfahrbar, ins Extrem. Durch diesen Umgang mit Hängung entstanden bei beiden sowohl in Einzelausstellungen als auch bei gemeinsamen Präsentationen immer wieder Kompositionen aus einer Vielzahl einzelner Bilder.
Sie korrespondieren nicht nur an einer einzigen Wand miteinander sondern interagieren über den ganzen Raum hinweg.
Der Betrachter befindet sich dadurch beim Betreten des Ausstellungsraumes bereits mitten im Kunstwerk und erfährt durch jede Veränderung des Blickwinkels neue Aspekte der Komposition.
Für die Realisierung ihrer installativen Ausstellungskonzepte schaffen Ariane Faller und Mateusz Budasz verschiedene
Konstruktionen, die zunächst scheinbar rein funktionale Eigenschaften besitzen. Wegwerfpaletten, Wollfäden, Holzböcke oder Leitern dienen der Präsentation und Verknüpfung von Arbeiten beider Künstler im Raum. Ohne die Hilfsmittel an sich zu verändern, integrieren die Künstler diese „Vehikel“ – wie Budasz und Faller sie treffend nennen – in ihre Kompositionen. Durch sie scheinen die Arbeiten organisch miteinander verwoben.
Die Vehikel fungieren als Objets Trouvés, entwickeln sich also zu Bildelementen und ermöglichen es, die einzelnen Arbeiten visuell eng ineinander greifen zu lassen.
Der von Ariane Faller und Mateusz Budasz erdachte Kunstbegriff „stereoshaped“ leitet sich von dem griechischen „stereo“ für Raum und dem englischen „shape“ für Form ab. Der Wortsinn bezeichnet die intensive Auseinandersetzung der beiden Künstler mit der Ausformung des Kunstraums. “stereoshaped” nimmt die vertikale Raumkomponente des T66 in sich auf. Zwar sind die verschiedenen Räume wie eigenständige Akkumulationen aufgebaut, aber anstatt sie als vollkommen getrennte Raumeinheiten aufzufassen, führt die Gesamtkomposition sie in eine einzige über. Neben der vertikalen Komponente des T66 beziehen die Künstler die Fensterfront direkt in ihre Arbeit mit ein. So taucht das Motiv des Fensterkreuzes in einigen Arbeiten auf, andere Bilder spiegeln die Transparenz der Verglasung wider, während massive, opake Flächen dem diametral gegenüberstehen.
Die Zeitlichkeit der Komposition zeigt sich in ihrer Fragilität.
Der Aufbau der Arbeiten ist so instabil, dass alles durch eine unsachte Berührung oder eine Erschütterung des Gebäudes einstürzen kann. Die alten, wackeligen Holzleitern, die die Instabilität der gesamten Komposition visualisieren, tragen zu ihrem vergänglichen Charakter bei. Insgesamt schaffen Ariane Faller und Mateusz Budasz einen ganzheitlichen Kunstraum, der, durch seine Konstruktion bedingt, eine fragile Momentaufnahme des T66 darstellt.